by SME - Wir Deutschen sollen wahre Komplimente-Muffel sein – was das Geben, aber auch was das Annehmen von Komplimenten angeht. Immer wieder beobachte ich, dass wir Komplimente lächelnd abtun („Ach, das kann ich doch nur so gut, weil du mir das schon zehn Mal gezeigt hast“) oder sie relativieren („Die Jacke? Uralt. Echt nichts Besonderes“). Konnten wir das noch nie besonders gut? Oder haben wir irgendwann verlernt, Nettigkeiten anzunehmen?
Obwohl wir auf Facebook und Instagram um positive Resonanz geradezu buhlen, sind wir im Job oder im Alltag bestenfalls peinlich berührt und wechseln schnell das Thema. Woher kommt das? Sind wir einfach nur bescheiden? Oder brodeln in uns eine konstante Unsicherheit und die Angst davor, oberflächlich und abgehoben zu erscheinen, wenn wir ein Kompliment dankend annehmen, uns darüber freuen und erwidern: „Ja, die Jacke ist wirklich schön – deshalb habe ich sie ja auch gekauft –, danke sehr.“
Ulrike Fuchs, Heilpraktikerin für Psychotherapie, sagt, wer seinen eigenen Wert spüren kann, geht souverän mit Komplimenten um. Er nimmt sie an, ohne danach zu jagen. Dann bleibt es auch ein natürliches Geben und Nehmen. Doch sind wir in unserer schnelllebigen und leistungsorientierten Gesellschaft nicht alle mal mehr, mal weniger geplagt von Unsicherheit und einem geringen Selbstwertgefühl?
Fishing for compliments – darin sind wir Profis
Die Generation Y hat einen wunderbaren Weg gefunden, in regelmäßigen Abständen Bestätigung und Anerkennung zu erhalten und gleichzeitig dem „Peinlich-berührt-Sein“ aus dem Weg zu gehen. Denn wir können unser Leben auf Instagram und anderen digitalen Plattformen dank Filtern und diverser Bearbeitungsmöglichkeiten perfekt inszenieren, sodass wir insgeheim davon ausgehen können, Anerkennung in Form von vielen Likes und begeisterten „Ooohs“ und „Aaahs“ zu erhalten. Im Wissen um die Halbwahrheit der nahezu perfekten Inszenierung genießen wir die Schmeicheleien der anderen. Werden womöglich süchtig danach. Peter Walschburger, Professor für Biopsychologie an der Freien Universität Berlin, sagt: „Komplimente sind das Schmiermittel im sozialen Getriebe.“ Daher sind wir alle in irgendeiner Form abhängig vom Applaus der anderen. Die einen suchen ihn in den sozialen Netzwerken verzweifelt, die anderen möglicherweise nur zum Spaß. Doch ganz gleich aus welcher Motivation heraus, wir werden anscheinend nicht müde vom vielen Komplimente-Fischen, im Gegenteil.
Stop fishing!
Erhalten wir jedoch im Alltag ein Kompliment, überrascht es uns. Schließlich haben wir da oft gar keinen Aufwand betrieben, um uns perfekt zu inszenieren. Doch genau das macht den Unterschied. Die Anerkennung, die uns in solchen Momenten entgegengebracht wird, ist unerwartet, weil wir eben nicht danach „geangelt“ haben – und sie bezieht sich oft auf Dinge, die wir überhaupt nicht als perfekt empfinden („Meine Haare sehen doch nur so aus, weil ich noch keine Zeit hatte, sie zu frisieren...?“ oder „Das ist doch nur der erste Entwurf meiner Präsentation...?“) Doch genau das macht die Situation besonders und uns wiederum verlegen. Es ist also an der Zeit, den Fokus zu verschieben, und spontane Komplimente zu genießen statt auf den Applaus in den sozialen Netzwerken abzuzielen. Ein ehrliches Kompliment im Alltag oder am Arbeitsplatz schenkt uns Selbstvertrauen, und das trägt entscheidend zu unserem Wohlbefinden bei. Denn es drückt Wertschätzung aus für das, was wir sind und was wir jeden Tag leisten.
Daumen hoch für wahre Komplimente
Der „Welttag der Komplimente“ ist am 1. März. Bis dahin ist also noch reichlich Zeit, um zu lernen, Komplimente und andere Aufmerksamkeiten im Alltag dankend anzunehmen – und auch selbst anderen öfter etwas Nettes zu sagen. Denn: Ehrliche Komplimente erfordern keine Anstrengung – eine freundliche Bemerkung zu etwas, was uns wirklich gefällt, sprudelt doch oft einfach aus uns heraus. Und als Belohnung winkt das schöne Gefühl, anderen eine Freude bereitet zu haben.
In diesem Sinne: Danke für euer ehrliches Interesse an diesem Beitrag. Ihr wart großartige LeserInnen.